Stellungnahme des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. 

Können Covid-19-Impfungen Tinnitus auslösen oder verschlechtern? 

Im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie und besonders den jetzt breit durchgeführten Impfungen gegen das Virus wird von DTL-Mitgliedern und anderen besorgten Personen häufig gefragt, ob eine Impfung gegen Covid einen bestehenden Tinnitus verschlechtern oder gar einen neuen Tinnitus verursachen kann. Es gibt bisher keine einzige wissenschaftliche Studie, die mit seriösen Daten einen Zusammenhang zwischen der Impfung und einer Hörstörung belegt, und das völlig unabhängig vom eingesetzten Impfstoff. In seiner bisherigen regelmäßigen Tätigkeit als Impfarzt in einem Impfzentrum sind Prof. Dr. med. Gerhard Hesse derartige Nebenwirkungen auch nie begegnet oder berichtet worden.

Zu den Begriffen Impfreaktion und Nebenwirkung

Die Begriffe Impfreaktion und Nebenwirkung werden sehr häufig analog verwendet. Per Definition ist eine Impfreaktion eine häufige, normale Reaktion auf eine Impfung, etwa als lokale Reaktion mit Brennen oder Rötung an der Einstichstelle oder als systemische Impfreaktion mit Kopfschmerzen, Gefühl der Erschöpfung, erhöhter Temperatur, leichten Glieder- oder Muskelschmerzen bis hin zu grippeähnlichen Beschwerden. Sie ist durch die Wirkung des Impfstoffs im Immunsystem erklärbar, steht also am Beginn der Immunantwort und ist aus medizinischer Sicht harmlos.

Zu den Impfstoffen

1. Vektor-Impfstoffe wie der von AstraZeneca oder der russische Sputnik V sollen eine starke Immunreaktion auslösen, damit der Organismus Antikörper gegen dieses Eiweiß bildet und damit immun macht gegen die Covid-19-Viren. Dies wird bewerkstelligt, indem ein nicht krank machendes Virus mit dem sogenannten Spikeprotein, also einem Eiweiß, beladen wird und das Immunsystem dagegen Antikörper produziert. Diese Immunreaktion beginnt lokal im Bereich der Einstichstelle am Oberarmmuskel und kann darüber hinaus (in der Regel für weniger als 24 Stunden) Fieber, Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit hervorrufen. Eine Schädigung der Haarzellen im Innenohr oder des Hörnervs kann dadurch nicht entstehen. 

2. Gleiches gilt für die mRNA-Impfstoffe wie von BioNTech/Pfizer oder Moderna, die ebenfalls mit einer vergleichbaren Immunreaktion, wenn auch häufig schwächer, einhergehen können. Der Impfstoff besteht aus genetischen Informationen für das Spikeprotein auf der Virusoberfläche. Auch bei diesen Impfstoffen sind Wechselwirkungen mit den Haarzellen des Innenohres oder des Hörnervs nicht denkbar und sind auch nicht beschrieben worden. 

Hauptursache für Veränderungen des Tinnitus

Nach allem, was wir wissen, sind es Stressreaktionen und Ängste, die eine nachweisbar kurzfristige Verstärkung eines Tinnitus bedingen können. Hierzu finden Sie in der Mitgliederzeitschrift der Deutschen Tinnitus-Liga e. V., Ausgabe Tinnitus-Forum 1/2021, Seite 19, eine sehr informative Zusammenfassung von Dr. Dipl.-Psych. Winfried Schlee, Regensburg. Dass die vielen Diskussionen und kursierenden Bedenken die Tinnitus-Wahrnehmung verändern können, ist ein gut erforschtes Phänomen und nachvollziehbar. In solchen Fällen wird das bereits bestehende Ohrgeräusch anders beziehungsweise intensiver wahrgenommen. In der Regel ist die wahrgenommene Intensitätszunahme vorübergehend und klingt ab, wenn die Sorgen sich legen beziehungsweise allgemeine Ängste vor dem Unbekannten oder Gerüchte sich als unbegründet herausstellen. Die Zunahme der Intensität beruht in der Regel nicht auf einer akuten Schädigung des Hörsystems.

Insgesamt ist in der jetzigen Pandemie nur dann eine Verbesserung der Situation und eine Rückkehr zur Normalität möglich, wenn möglichst viele Menschen geimpft worden sind, egal mit welchem Wirkstoff, da alle in der EU eingesetzten Impfstoffe hochwirksam sind. 

Prof. Dr. med. Gerhard Hesse, Facharzt für HNO-Heilkunde und Chefarzt, Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga e. V., Impfarzt im Impfzentrum Korbach 
Prof. Dr. med. Gerhard Goebel, Facharzt für Innere Medizin, Facharzt für Psychosomatik, Stellvertretender Sprecher des Fachlichen Beirats und stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. 
Wuppertal, im Mai 2021

Ergänzung von Prof. Dr. med. Gerhard Hesse, Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga e. V., zum Thema Tinnitus und Covid-19, Stand September 2021

Auch in Bezug auf Tinnitus isoliert hat die Covid-19-Pandemie einiges verändert und gleichzeitig initiiert: Die Hauptfrage besteht hier darin, ob durch eine Infektion oder gar eine Impfung Tinnitus hervorgerufen werden kann, oder ob er durch die allgemeine Pandemielage insgesamt verschlechtert wird. Eine Arbeitsgruppe aus den USA, England und Indien hat diese Frage mit mehreren Arbeiten untersucht. In einer Übersicht wurden 33 von 181 Publikationen ausgewertet, von denen 28 hauptsächlich die Bedeutung des Covid-19-Virus auch bei einer Tinnitus-Entstehung beleuchteten und fünf weitere den Einfluss der Pandemie insgesamt untersuchten. Dabei zeigten sich keine reproduzierbaren Muster bezüglich des Entstehens von Tinnitus während der Infektion, eindeutige Belege für ein Entstehen von Tinnitus durch eine Covid-19-Infektion bestehen bis jetzt nicht. Hingegen sind der allgemeine Stress und die Belastung, die durch die Pandemie entstanden ist, sicherlich dazu geeignet, Tinnitus hervorzurufen oder eben zu verstärken. Insgesamt wurde durch die Publikation eine um acht Prozent erhöhte Wahrscheinlichkeit berechnet, Tinnitus zu bekommen (1). 

Eine italienisch-polnische Studiengruppe (2) sichtete über 400 Manuskripte, im wesentlichen Fallbeschreibungen, die dann auf 15 reduziert worden sind bezüglich der Zusammenhänge audiovestibulärer Symptome und einer Covid-19-Infektion. Als eine Komplikation nach einer Covid-19-Infektion wurde ein plötzlicher Hörverlust berichtet, allein oder in Zusammenhang mit Tinnitus und Schwindel. Die Übersicht stellt aber heraus, dass die dazu veröffentlichten Studien methodisch sehr schlecht waren und somit letztlich ein Zusammenhang nur als möglich angesehen werden kann. Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch eine Studiengruppe aus Manchester nach Sichtung von 850 Publikationen, aus denen dann 28 Fallbeschreibungen und 28 Studien untersucht werden konnten. Auch hier wurde hauptsächlich ein plötzlicher Hörverlust mit Tinnitus und Drehschwindel im Gefolge einer Covid-19-Infektion beschrieben, allerdings waren der Zeitpunkt des Auftretens der Symptome und der tatsächliche Zusammenhang mit der Covid-19-Infektion nicht wirklich klar herauszustellen (3). 

In einer Publikation aus dem House-Ear-Institut in Los Angeles wird sehr kritisch auf einen Zusammenhang zwischen Covid-19-Impfungen und danach aufgetretenen otologischen Symptomen eingegangen. In der Klinik wurden im Beobachtungszeitraum 2021 von 1325 Patienten bei 30 otologische Symptome entwickelt kurz nach einer Covid-19-Impfung (18 Moderna und 12 BioNTech/Pfizer). Von diesen 30 Patienten hatten bereits elf auch vorher otologische Diagnosen wie Morbus Menière und Autoimmunerkrankungen des Innenohres. Die Autoren schließen daraus, dass eine definitive Korrelation zwischen einer Impfung und neu aufgetretenen oder verschlechterten otologischen Symptomen nicht belegt werden kann, vielmehr sollten die entsprechenden Fälle gesammelt und wissenschaftlich nachverfolgt werden (4). 

Ein anderer wesentlicher Aspekt beleuchtet die Einschränkung und Problematik kommunikationsgestörter Menschen wie Personen mit Schwerhörigkeit oder Cochlea-Implantat-Patienten, die im Zusammenhang mit den Pandemieschutzmaßnahmen auftreten. Wilson et al. (5) befragten 614 Patienten und fanden, dass die Kommunikation innerhalb der Familie oder auch um Informationen zur Pandemie zu bekommen, mit steigendem Hörverlust deutlich schwieriger wird. Auch war die Versorgung der Schwerhörigen durch Hörgeräte und Cochlea-Implantate in der Pandemie deutlich schlechter geworden. Naylor et al. aus Glasgow (6) fragten 129 schwerhörige Patienten ihrer Klinik, mit welchen Einschränkungen der Lockdown und das Tragen von Gesichtsmasken, sozialer Abstand und vermehrte Videokonferenzen verbunden waren. Herausgestellt wurde, dass besonders die Kommunikation durch ein fehlendes Mundbild beim Einsatz von Gesichtsmasken deutlich beeinträchtigt wird, nur wenige tragen transparente Gesichtsmasken. Besonders bei den stärker Höreingeschränkten war die Schwierigkeit, an Videokonferenzen teilzunehmen, sehr ausgeprägt und führte zu deutlichen Beeinträchtigungen. Auch konnte der technische Service während des Lockdowns zum Beispiel für Hörgeräte oder CIs nur sehr unzureichend wahrgenommen werden. Auch eine italienische Übersicht (7) betont die Schwierigkeit, die besonders stärker Höreingeschränkte (Hörgeräte- und CI-Träger) haben, wenn sie im Gespräch Gesichtsmasken tragen müssen und so keinerlei Hilfe durch das Mundbild des Gegenübers haben. 

Literatur:

1. Beukes E, Ulep AJ, Eubank T, Manchaiah V. The Impact of COVID-19 and the Pandemic on Tinnitus: A Systematic Review. J Clin Med. 2021;10(13). 
2. Fancello V, Hatzopoulos S, Corazzi V, Bianchini C, Skarzynska MB, Pelucchi S, et al. SARS-CoV-2 (COVID-19) and audio-vestibular disorders. Int J Immunopathol Pharmacol. 2021;35:20587384211027373. 
3. Almufarrij I, Munro KJ. One year on: an updated systematic review of SARS-CoV-2, COVID-19 and audio-vestibular symptoms. International journal of audiology. 2021:1-11. 
4. Wichova H, Miller ME, Derebery MJ. Otologic Manifestations After COVID-19 Vaccination: The House Ear Clinic Experience. Otology & neurotology: official publication of the American Otological Society, American Neurotology Society [and] European Academy of Otology and Neurotology. 2021. 
5. Wilson HL, Crouch J, Schuh M, Shinn J, Bush ML. Impacts of the COVID-19 Pandemic on Communication and Healthcare Access for Adults With Hearing Loss. Otology & neurotology: official publication of the American Otological Society, American Neurotology Society [and] European Academy of Otology and Neurotology. 2021. 
6. Naylor G, Burke LA, Holman JA. Covid-19 Lockdown Affects Hearing Disability and Handicap in Diverse Ways: A Rapid Online Survey Study. Ear and hearing. 2020;41(6):1442-9. 
7. Brotto D, Sorrentino F, Agostinelli A, Lovo E, Montino S, Trevisi P, et al. How great is the negative impact of masking and social distancing and how can we enhance communication skills in the elderly people? Aging Clin Exp Res. 2021;33(5):1157-61. 

Prof. Dr. Gerhard Hesse, Sprecher des Fachlichen Beirats der Deutschen Tinnitus-Liga e. V. (DTL)
September 2021

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